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Projekte

Arbeitsgruppe Prof. Dr. rer. nat. Christoph Becker

Immunregulation der Epithelzellbarriere im Darm

Aktuelle Forschungsprojekte der Arbeitsgruppe

Der Darm bildet eine komplexe immunologische Barriere, die eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Gesundheit spielt. Diese Barriere besteht aus mehreren Schichten und Mechanismen, die synergetisch zusammenarbeiten, um den Körper vor pathogenen Mikroorganismen zu schützen, während sie eine gesunde Darmflora unterstützen.

Die immunologische Barriere des Darms ist auch wesentlich für die Unterscheidung zwischen pathogenen und nicht-pathogenen Mikroorganismen sowie für die Toleranz gegenüber harmlosen bakteriellen Gemeinschaften und Nahrungsbestandteilen. Störungen dieser fein abgestimmten Balance können zu einer Vielzahl von Erkrankungen führen, darunter allergische Reaktionen, Autoimmunkrankheiten und entzündliche Darmerkrankungen. Insgesamt zeigt die Komplexität und Wichtigkeit der immunologischen Barriere im Darm, wie kritisch diese für die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden ist.

Unsere Forschungsprojekte befassen sich mit der Funktion und Regulation der immunologischen Darmbarriere. In zahlreichen Projekten untersuchen wir die Wechselwirkungen zwischen dem Mikrobiom und dem Immunsystem, mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Rolle, welche das Darmepithel in der Vermittlung dieser Wechselwirkungen spielt.

Regulation von intestinalen Epithelzellen durch Signale des Immunsystems und der Darmflora

Intestinale Epithelzellen werden durch bakterielle Moleküle auf komplexe Weise stimuliert, was essentiell für die Aufrechterhaltung der Darmgesundheit ist. Bakterielle Bestandteile wie Lipopolysaccharid (LPS), ADP-Heptose, bakterielle DNA und Peptidoglykane binden an spezifische Rezeptoren auf den Epithelzellen, wie z.B. Toll-like-Rezeptoren (TLRs), welche die Zellen aktivieren und zu einer Kaskade von Signalübertragungen führen, die immunologische und entzündliche Reaktionen auslösen können. Diese Reaktionen umfassen die Aktivierung von NF-kB und anderen Transkriptionsfaktoren, die zur Produktion von Zytokinen und Chemokinen führen, welche wiederum Immunzellen anlocken und die Immunantwort modulieren.

Darüber hinaus können bakterielle kurzkettige Fettsäuren (SCFAs) wie Acetat, Propionat und Butyrat durch Bindung an Rezeptoren auf den Epithelzellen deren Stoffwechselwege beeinflussen und zur Stärkung der Barrierefunktion beitragen. Diese SCFAs fördern auch die Produktion von Schleim und antimikrobiellen Peptiden, die helfen, die Darmoberfläche vor pathogenen Eindringlingen zu schützen. Diese Wechselwirkungen zwischen bakteriellen Molekülen und intestinalen Epithelzellen sind zentral für das Verständnis der Mechanismen, die Gesundheit und Krankheit im Darm steuern. Damit spielen sie eine entscheidende Rolle in der Forschung zu präventiven und therapeutischen Ansätzen für zahlreiche Darmkrankheiten.

Intestinale Epithelzellen werden auch durch Immunzellen im Darm auf vielfältige Weise stimuliert, was für die Aufrechterhaltung der immunologischen Homöostase und Reaktion auf Infektionen entscheidend ist. Immunzellen wie T-Lymphozyten und Makrophagen setzen Zytokine frei, wie Interleukin-22 (IL-22) und Interferon-gamma (IFN-γ), die direkt auf Epithelzellen wirken, um ihre Barrierefunktion zu modulieren und die Produktion von antimikrobiellen Peptiden zu induzieren. Diese immun-vermittelten Signaltransduktionswege sind entscheidend, um die Integrität und Funktion der intestinalen Barriere zu gewährleisten und adaptive Immunantworten zu koordinieren. Solche Wechselwirkungen sind fundamental, um die Darmgesundheit zu schützen und pathologische Zustände wie entzündliche Darmerkrankungen und Infektionen zu bekämpfen.

Unsere Projekte basieren auf der Annahme, dass das Darmepithel mit seinen spezialisierten Zellen nicht nur eine physikalische Barriere ausbildet, die Bakterien der Darmflora vom Immunsystem trennt, sondern als Kommunikationsschnittstelle wie ein Mediator ständig zwischen diesen beiden Parteien vermittelt, um zerstörerische Entzündungsreaktionen zu verhindern. 

Immunologische Regulation der programmierten Nekrose (Nekroptose) im Darmepithel

Bis vor wenigen Jahren wurden die Begriff programmierter Zelltod und Apoptose synonym verwendet, da nur bei dieser Form des Zelltods die Zelle selbst die Abläufe bestimmt und ein Art Selbstmordprogramm ausführt. Als Nekrose dagegen bezeichnete man eine unkoordinierte (passive) Form des Zelltods nach irreversibler Zellschädigung, beispielsweise durch mechanische Verletzung, Zellgifte, durch thermische Einflüsse oder Krankheitserreger. Beide Formen des Zelltods können aufgrund morphologischer Charakteristiken mikroskopisch unterschieden werden.

Durch Forschungsergebnisse der letzten Jahre konnte jedoch eine neue Form des Zelltods, die sogenannte Nekroptose, identifiziert und charakterisiert werden. Die Nekroptose kombiniert interessanterweise apoptotische und nekrotische Merkmale. Morphologisch betrachtet kann sie nicht von der Nekrose unterschieden werden. Andererseits ist sie von dieser klar abgrenzbar, da sie keinen passiven Prozess darstellt, sondern durch geregelte Signalwege ausgelöst werden kann. Die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen entsprechen dabei sehr stark denen der Apoptose, da beide Prozesse über ähnliche intrazelluläre Proteinkomplexe reguliert werden.

Erste Hinweise auf diese neue Form des Zelltods erlangten Wissenschaftler durch Studien, in denen in vivo die physiologische Relevanz von Apoptose erforscht werden sollte. Diese führten zu der Erkenntnis, dass die Moleküle Caspase-8 und FADD, zusätzlich zu ihrer Funktion in der Initialisierung von Apoptose, weitere Apoptose-unabhängige Aufgaben in der Regulation des Zellüberlebens besitzen. Zur selben Zeit konnten Forscher nach Stimulation von Apoptose unter bestimmten experimentellen Bedingungen Zellen beobachten, die sich morphologisch stark von denen apoptotischer Zellen unterschieden. So konnten in diesen Zellen intakte Zellkerne sowie ein Anschwellen der gesamten Zelle und einzelner Zellorganellen beobachtete werden, typische Merkmale nekrotischer Zellen. Somit konnten die Forscher zeigen, dass eine regulierte Aktivierung des externen Apoptosesignalwegs einen morphologisch der Nekrose entsprechenden Zelltod verursachen kann, der heute bekannten Nekroptose. Durch ergänzende in vitro Experimente gelang es schließlich, die der Nekroptose zugrundeliegenden Moleküle zu identifizieren. Diese gehören zur Familie der Kinasen und beinhalten das „receptor-interacting-protein 1 (RIP1), RIP3, sowie das Protein MLKL (mixed lineage kinase domain-like protein). Unter physiologischen Bedingungen wird die Aktivierung dieser Proteine durch Caspase-8 blockiert. Wenn Caspase-8 Aktivität allerdings durch genetische Deletion, pharmakologische Methoden oder  zelluläre Inhibitoren (z.B. cFLIPs) blockiert ist, kann eine Inaktivierung von RIP1 durch Caspase-8 nicht mehr gewährleistet werden. Wird in einer Zelle RIP3 exprimiert, kann diese dann mit RIP1 interagieren, wodurch eine Autophosphorylierung beider Kinasen eingeleitet wird. Dies führt wiederum zur Phosphorylierung und Aktivierung von MLKL und letztendlich zur Nekroptose.

Bedeutung inflammatorischer Zelltodregulation bei der Entstehung von Darmentzündung und Darmkrebs

Wichtige Ziele bei der Erforschung der Nekroptose sind nicht nur die Aufklärung der zellulären Signalwege und die Erforschung der Bedeutung von Nekroptose bei verschiedenen Erkrankungen, sondern auch die Entwicklung von spezifischen und einfachen Nachweisverfahren für Nekroptose und für die Abgrenzung von Nekroptose von anderen Formen des Zelltods. Hier scheinen nach derzeitigem Kenntnisstand interdisziplinäre Ansätze wie die Verknüpfung optischer/physikalischer und immunologischer Nachweisverfahren vielversprechend. Unsere Daten zeigen, dass sowohl die aktivierte als auch die inhibierte Form der Caspase-8 eine Aktivierung von programmiertem Zelltod vermittelt (siehe Abbildung). Es bedarf somit einer strikten Kontrolle der Expression und Aktivität der Caspase-8 um ein Überleben der Zellen zu gewährleisten. Seit der Entdeckung der Nekroptose konnte eine Beteiligung dieser Form des Zelltods bei verschiedenen pathophysiologischen Prozessen gezeigt werden. Mit unseren eigenen Arbeiten haben wir wesentlich zum Verständnis der Bedeutung und Regulation der Nekroptose beigetragen. Unsere gegenwärtigen Projekte untersuchen die pathophysiologische Relevanz der Nekroptose bei Erkrankungen des Darms und der Rolle der Mitochondrien und deren Stoffwechselwegen in diesen Prozessen.

Einfluss des enterischen Nervensystems auf die immunologische Barriere und Entzündungsreaktionen im Darm

Das enterische Nervensystem (ENS) und die immunologische Barriere des Darms stehen in einer engen und komplexen Wechselwirkung, die entscheidend für die Aufrechterhaltung der Darmgesundheit und der allgemeinen Homöostase ist. Das ENS, oft als "zweites Gehirn" bezeichnet, besteht aus Millionen von Nervenzellen, die entlang des gesamten Verdauungstrakts verteilt sind. Diese Neuronen steuern nicht nur die motorischen Funktionen des Darms, sondern beeinflussen auch die immunologischen Reaktionen.

Eine Schlüsselrolle spielt das ENS in der Modulation der Darmflora und der Immunreaktionen durch die Freisetzung von Neurotransmittern und Neuropeptiden, die direkt auf Immunzellen wirken können, was wiederum deren Freisetzung von Zytokinen und anderen entzündlichen Mediatoren beeinflusst. Darüber hinaus ermöglicht die bidirektionale Kommunikation zwischen ENS und Immunsystem eine schnelle Reaktion auf infektiöse Erreger und andere pathologische Veränderungen im Darm. Wenn das Immunsystem eine Bedrohung erkennt, kann es Signale an das ENS senden, das dann die Darmmotilität und Sekretion anpasst, um die Eliminierung des Erregers zu beschleunigen.

Störungen in dieser Interaktion begünstigen eine Vielzahl von Erkrankungen, darunter entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa. Die Erforschung der komplexen Interaktionen zwischen dem enterischen Nervensystem und der immunologischen Barriere bietet daher wichtige Einblicke in die Mechanismen, die diesen Erkrankungen zugrunde liegen, und könnte zu neuen therapeutischen Ansätzen führen.